Agilität

Agile Führungskräfte haben keine Angst vor V, U oder L !

Die Experten sind sich nicht einig. Virologen haben eine andere Sichtweise als Politiker, Autobauer eine andere als Restaurantbesitzer und Frisöre andere als Banker. Das betrifft nicht nur den aktuellen Umgang mit der Krise im Grundsatz, sondern besonders auch, wie die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann. Einig sind sich die Experten, dass es drei Szenarien gibt, um in ein halbwegs normales Leben zurückzukommen. Nicht einig sind sie sich, welches das richtige sein wird: Das V-, U- oder L-Szenario. Wie unterscheiden sich die Szenarien? [1]

Das V-Szenario
Eine V-förmige Entwicklung wird u.a. von der Börse favorisiert. Ein kurzer Einbruch der Wirtschaftsaktivität im ersten Quartal wird rasch wieder kompensiert, zum Ende des zweiten Quartals würde es wieder aufwärts gehen. Investitionen und auch einige Konsumausgaben, die im Moment aus Angst zurückgehalten werden, würden dann nachgeholt. Nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) könnte im zweiten Halbjahr Nachhol-Effekte sichtbar werden und zu einem überdurchschnittlichen Wachstum führen. Viele Virologen sind allerdings gegen dieses Szenario.

Das U-Szenario
Im Fall des U-Szenario kommt auf das schwache erste Quartal ein mindestens ebenso schwacher Dreimonatszeitraum. Potentiell fehlende Lieferketten belasten Investitionen und Konsum nachhaltig. Der Tourismus wird über einen längeren Zeitraum deutlich leiden. Die Wirtschaftsexperten sind sich sicher: Zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung bedeuten eine unvermeidliche Rezession.

Das L-Szenario
Bei einem L-Szenario muss man mit den schlimmsten denkbaren Folgen rechnen. Das globale Wirtschaftssystem, welches auf Vernetzung und Arbeitsteilung beruht, würde auseinanderbrechen. Einzelne Staaten werden im Alleingang versuchen, die ökonomischen und sozialen Folgen zu bekämpfen mit dem Ergebnis, dass sich die Grundlagen für den Wohlstand der gesamten Welt verschlechtern.



Bildquelle: Infografik WELT
Bereits schon vor COVID-19 steckten viele Führungskräfte in einer Führungskrise, was durch die aktuelle Situation nun noch verschärft wird. Die Bertelsmann Stiftung hat in Zusammenarbeit mit dem Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung (RMI) an der Universität Witten/Herdecke knapp tausend Führungskräften in Deutschland befragt. Das Ergebnis ist nahezu erschreckend:
⦁ ca. 30 Prozent der Befragten gaben eine hohe Führungsbelastung an,
⦁ ca. 20 Prozent glaubt, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden,
⦁ ca. 25 Prozent finden, dass er bzw. sie mehr zu einer Gruppe beitragen könnten, wenn sie von jemand anderem geführt werden.
Fazit der Studienautoren: „Nimmt man hinzu, dass weitere 25 Prozent bei den entsprechenden Aussagen nur teilweise zustimmen, kann man bei der Hälfte der deutschen Führungskräfte davon ausgehen, dass sie ihrer Verantwortung nicht unbeschwert nachkommt.“
Außerdem wurde festgestellt: Wer sich besonders belastet fühlt, klagt häufig über diffuse Unternehmensziele und stark formalisierte Arbeitsabläufe. Führungskräfte, sich wenig belastet fühlen, haben dagegen kein Problem mit der eigenen Aufgabensituation. Bei den weniger belasteten Managern berichten nur 16,4 Prozent davon, dass sie kein Vertrauen in die eigenen Leute haben, wogegen es bei den stark belasteten stolze 44,7 Prozent sind, die kein Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter*innen haben. [2]

Organisationen in Krisenzeiten
Bei einer Krise gibt es sicherlich mehr als nur ein Problem mit mehr als nur einem Ergebnis. Aber schon heute zeichnet sich ab: Veränderungsprozesse, die man in der Vergangenheit bereist erwartet hatte, wurden durch Corona radikal beschleunigt. Stichwort Home-Office bzw. Dezentrale Führung. Datenschutz, technische Schwierigkeiten, fehlendes Budget, Investitionsstau – alles zweitrangig.
In Krisenzeiten scheint man allerdings weniger auf neue Führungstendenzen wie z.B. Agilität oder New Work zu setzen. Zentrale Funktionen von Hierarchie werden benötigt, um schnell und ggf. drastisch entscheiden zu können, da womöglich das Überleben davon abhängt. Basisdemokratie und Stuhlkreise zur Entscheidungsfindung haben hier keinen Platz. Ist das das Ende des agilen Arbeitens?
Laut HAUFE-Management ein klare NEIN. „In agilen Organisationen ist die Qualität von Entscheidungen anders. Sie haben einen Vorteil: sie müssen nicht nur auf Hierarchie vertrauen, sondern können Führungsimpulse auch Bottom Up aufnehmen. …

In Organisationen wird, das ist eine Binsenweisheit der Organisationsforschung, immer mit begrenzter Rationalität entschieden – auch an der Spitze. Jedoch kann diese Spitze mehr oder weniger gut informiert sein. Und da haben Organisationen, die gutes Entscheiden bereits vor der Krise erprobt haben, einen strategischen Vorteil: Denn sie müssen nicht nur auf Hierarchie vertrauen, sondern können Führungsimpulse auch Bottom Up aufnehmen, generieren Informationen aus dem Herzen der Organisation oder direkt von den Kunden.“ [3]

Alle sofort zurück ins Büro, oder schrittweise oder noch nicht: Die V-, U-, L-Führungskraft
Was für das Hochfahren der Wirtschaft gilt, gilt gleichermaßen auch für die Führungskräfte im Umgang mit ihren Mitarbeiter*innen mit Blick auf das operative Tagesgeschäft. Zunächst ist das Verhalten der gesamten Organisation entscheidend. Ist die Organisation klassisch hierarchisch geprägt, wird es irgendwann eine klare Anweisung der Geschäftsleitung geben, wie man mit den Home-Office-Arbeitsplätzen umgeht. Die Führungskräfte und die Mitarbeiter*Innen haben hier keinen Einfluss.

Holt man alle Mitarbeiter*innen schlagartig wieder ins Büro (V-Szenario), dann wird die erste Zeit geplant oder ungeplant dazu genutzt, die sozialen Kontakte aufzufrischen. Auf den ersten Sitzungen wird man mehr darüber berichten, wie man die letzten Wochen bzw. Monate erlebt und weniger fachlich-inhaltlich arbeiten. Das ist menschlich und nicht wirklich ein Problem. Heftig wird es aber werden, wenn die Reproduktionszahlen wieder steigen und man wieder alles zurückbauen muss. Das wird nicht nur zu erheblichen Irritationen bei den technischen Abläufen und Prozessen führen, sondern der Widerstand bei den Mitarbeiter*innen, die nicht so tolle Erfahrungen bei der Arbeit Zuhause gemacht haben, wird diesmal deutlich höher liegen. Das wird zu Lasten der Produktivität und die Mitarbeiterzufriedenheit gehen.
Lässt man sich ein wenig Zeit und wartete zunächst alles in Ruhe ab (U-Szenario), wird es zur Spaltung der Mitarbeiter*innen in zwei Lager kommen: Die einen, die die aktuelle Situation möglichst lange halten wollen und die anderen, denen alles viel zu lang dauert und nun lieber Veränderungen vornehmen würden. Die Lager werden gegenseitig versuchen, die jeweils anderen von ihrer eigenen Sichtweise zu überzeugen. Dafür wird viel Zeit und Energie benötigt, die an anderer Stelle fehlen wird. Läuft etwas nicht rund, haben „die anderen“ Schuld. In den Besprechungen wird viel Zeit für „organisatorische Fragen“ benötigt, weil es kein einheitliches Arbeitsmodell gibt.

Zum Schluss gibt es Führungskräfte, die zunächst alles so lassen wollen, wie es aktuell ist (L-Szenario). Die letzten Veränderungen kamen viel zu schnell, einige fühlten sich überrollt. Das neue Arbeiten hat mancher innerlich noch gar nicht richtig verarbeitet, und dann soll es jetzt schon wieder zu Änderungen kommen? Jetzt muss doch erst einmal alles so bleiben, bis wirklich alle Probleme beseitigt sind und man sicher ist, dass es zu keinem Rückfall kommen wird. Unangenehm ist allerdings, dass es niemanden geben wird, der diese Garantie abgibt.

Jetzt müsste man eine agile Führungskraft sein
Ein wesentlicher Vorteil des agilen Führens liegt in der Dynamik, mit der man sich an veränderte Situationen anpassen kann. Neue Rahmenbedingungen, neue Anforderungen oder Informationen können schnellstmöglich berücksichtigt und umgesetzt werden, da es keine langen Entscheidungsprozesse gibt. Dezentrale Team entscheiden autark darüber, wie sie sich arbeitstechnisch organisieren wollen. Da spielen physische Orte nur eine untergeordnete Rolle, denn mit Hilfe digitaler Kollaborations-Tools ist man gewohnt, virtuelle Meetings durchzuführen, Daten zentral zur Verfügung zu stellen und seine Arbeitsergebnisse transparent zu machen.
Außerdem sind es agile Führungskraft gewohnt, gemeinsam mit den Teams verschiedenste Arbeitsmodelle zu erproben. Klappt etwas nicht, setzt man sich zusammen und korrigiert. Dann wird entschieden, was angepasst
oder verworfen wird. Aufgrund einer gelebten Fehlerkultur ist dies kein Manko, sondern ein Muss. Agile Führungskräfte können die Arbeitsweisen beliebig den Situationen anpassen. Daher spielt es keine Rolle, in welchem Szenario man sich befindet oder wenn man in einem zeitlichen Versatz agiert.

Fazit
Für agile Führungskräfte spielt es mit Blick auf das Team nur bedingt eine Rolle, in welchem Szenario wir uns befinden. Wer sich in Zeiten von COVID-19 ungewollt zwangsweise mit dezentraler Führung beschäftigen musste ist gut beraten, aus der Situation zu lernen und bestimmte Führungsmechanismen beizubehalten. Perspektivisch ist damit zu rechnen, dass ähnliche Situationen häufiger auftreten. Daher macht es für alles Organisationen durchaus Sinn, sich spätestens jetzt mit agilen Methoden und Strukturen zu beschäftigen.

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