Was Führungskräfte in Zeiten von COVID-19 alles so leisten sollen
Wie, Sie kennen MAFÜPS nicht? Macht nichts, denn das Wort habe ich erfunden. Es setzt sich zusammen aus MAnager, FÜhrungskraft und PSychologe.
Liest man Artikel über die Erwartungshaltungen von Mitarbeiter*innen an Unternehmenslenker und Vorgesetzte in Zeiten von COVID-19, dann sollen dieses
- das Unternehmen erfolgreich machen,
- die Unternehmensziele auf jeden Fall erreichen,
- das Team zu Höchstleistungen anspornen,
- eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit erzielen,
- auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen eingehen,
- soziale Nöte heilen,
- wenn erforderlich Trost spenden,
- auf jeden Fall Verständnis zeigen.
Es werden Manager benötigt, damit das Unternehmen nicht in Schieflage kommt, man braucht Führungskräfte, die ein Team zu jeder Zeit an jedem Ort auch dezentral optimal führen können und außerdem werden empathische Menschen mit einem Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und Sensibilität gefordert, wie wir es sonst nur von Psychologen*innen kennen. Sie fühlen sich überfordert? Dann ist die MAFÜPS-Stelle leider nichts für Sie.
Manager
Schauen wir uns zunächst einmal an, was im Gabler Wirtschaftslexikon zu Managern steht: „Ein Manager gestaltet durch Budgethoheit und Weisungsbefugnis die Entwicklung des gesamten Unternehmens, implementiert die Unternehmensstrategie und kontrolliert durch entsprechende Managementsysteme die Umsetzung von Entscheidungen (Strategie, Finanz-, Sach- und Personalentscheidungen), um die Unternehmensziele zu erreichen.“
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/manager-53892/version-276954)
Mit anderen Worten: Das Unternehmen steht im Vordergrund.
Es gibt Manager, die sehen ihre Leute nur bei der jährlichen Weihnachtsfeier oder bei Betriebsversammlungen. Sicherlich gibt es auch Ausnahmen, aber es gibt genügend Studien die zeigen, dass sich Manager in schwierigen Zeiten eher zurückzuziehen um alleine mit den Herausforderungen umzugehen als diese in einem größeren Kreis zu diskutieren. Man ist gerne unter sich, der persönliche Zugang zu den Mitarbeiter*innen ist eher rudimentär. Dies betrifft besonders komplexe Situationen, bei denen man die Entwicklung nur erahnen aber nicht planen kann. Wer möchte sich schon konkrete Aussagen treffen (und das erwarten die Mitarbeiter*innen) um diese nur wenige Tage später wieder zu revidieren. (By the way: Von Politikern*innen sind wir dieses Verhalten gewohnt, denn nur so ist das aktuelle COVID-19-Management zu erklären. Und zwar quer durch alle Parteien.) Also geht man lästigen Fragen aus dem Weg und damit gleichermaßen auch den Mitarbeiter*innen oder man trifft „verbindliche“ Aussagen, die am nächsten Tag schon wieder verworfen oder zumindest aufgeweicht werden.
Stellt sich die Frage, was die eigentlichen Aufgabe von Manager ist?
Gem. Computerwoche lassen sich die Aufgaben eines Managers in 10 Rollen einteilen.
Galionsfigur: Erfüllung offizieller Pflichten.
Führer: Agieren als Führungskraft.
Vernetzer: Gemeinsame Zeit mit Gleichrangigen oder anderen Personen außerhalb seiner Abteilung.
Radarschirm: Ständig Suche nach Informationen und deren Verarbeitung.
Sender: Weitergabe von Informationen, über die andere nicht verfügen.
Sprecher: Repräsentant der Abteilung, des Bereiches, des Unternehmens.
Unternehmer: Herbeiführen von Verbesserungen in der Abteilung.
Problemlöser: Reaktion auf Veränderungen, auch außerhalb seines Einflussbereichs.
Ressourcen-Zuteiler: Entscheidung darüber, wer was bekommt.
Erhandlungsführer: Führen von Verhandlungen und Bereitstellung von Ressourcen der Organisation
(https://www.computerwoche.de/a/was-tut-ein-manager-wirklich,3544284)
Damit sollte der Kalender eines Managers*in gut gefüllt sein. Natürlich wird von einem Manager erwartet, dass sie/er gut mit dem Druck und den Konflikten bei der Arbeit umgehen kann und immer den Überblick behält. Stichwort Resilienz. Bei so vielen direkten und indirekten Aufgaben bleibt wenig Raum für „persönliches Kümmern“. Das überlässt man dann den Führungskräften.
Führungskraft
Führungskräfte nehmen eine etwas andere Rolle ein, auch wenn es viele Überschneidungen zu Managern gibt.
Das Lexikon der Personalwirtschaft sieht das so:
„Ihre Persönlichkeit hat – neben der fachlichen Kompetenz – einen großen Einfluss auf die Mitarbeiter, ihre Motivation und Arbeitseffizienz in positiver wie in negativer Hinsicht. Eine Führungsperson kann andere an der richtigen Stelle einsetzen, Vorgaben klar definieren und Verantwortung delegieren, weil sie selbst Verantwortung übernimmt und sich richtig einschätzt.“
(https://www.personalwirtschaft.de/produkte/hr-lexikon/detail/fuehrungskraft.html)
Im Gegensatz zum Manager steht hier eher der direkte Bezug zu den Menschen im Vordergrund.
Führungskräfte sollen die Stärken und Schwächen der Mitarbeiter*innen kennen und entsprechend handeln bzw. die Menschen fördern. Darüber hinaus sollen Führungskräfte Ziele vorgeben und dabei unterstützen, dass die Ziele von den Mitarbeiter*innen auch erreicht werden. Motivation steht ganz oben auf der Anforderungsliste und natürlich loben, ganz viel loben.
Doch selbst das funktioniert nicht. Das Meinungsforschungsinstituts Forsa und das Beratungs-unternehmen Porsche Consulting haben im Dezember 2019 im Rahmen einer repräsentativen Umfrage 1001 Angestellte im Alter zwischen 21 und 67 Jahren befragt.
Demnach „ … hat jeder dritte Arbeitnehmer im Laufe des vergangenen Jahres schon einmal über eine Kündigung nachgedacht, weil er mit seinem Chef unzufrieden ist. Aus Sicht der Mitarbeiter kümmern sich die Chefs um zu viele Dinge gleichzeitig, das sagen beispielsweise 45 Prozent der Befragten. Die Vorgesetzten sind oft gestresst (32 Prozent), sie loben zu selten (28 Prozent) oder halten wichtige Informationen zurück (27 Prozent).“ (https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article206192647/Mitarbeiterzufriedenheit-Nur-jeder-zweite-Deutsche-geht-gern-zur-Arbeit.html)
Und der „Engagement Index Deutschland 2019“ der Firma Gallup kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach stimmen gerade mal 28% voll zu, dass sie von dem Unternehmen unterstützt werden, um „… für die Zukunft benötigte Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erlangen. (2019)“ (https://www.gallup.com/de/engagement-index-deutschland.aspx)
Fragt man Führungskräfte nach den Gründen für diese Diskrepanz, sind die Schuldigen schnell gefunden:
- die Organisation lässt es nicht zu,
- der Markt fordert es nicht,
- die Prozesse unterstützen dies nicht,
- die Mitarbeiter*innen wollen das nicht.
Dabei liegen die wahren Gründen ganz woanders:
- der persönliche Egoismus ist zu groß,
- der Wunsch nach Macht, Geld und Anerkennung bestimmt das eigene Handeln,
- die Angst vor Kontrollverlust ist größer als das Maß an Vertrauen,
- die eigene, zentrale Rolle soll nicht aufgegeben werden,
- man findet Hierarchien cool, weil man selber ziemlich weit oben steht.
Und obwohl dies in „normalen“ Zeiten schon schwierig genug ist, kommt nun auch noch CORONA daher und wirfst alles durcheinander, besonders die „Arbeitsstandorte“. Denn egal welche Branche, welche Größe, welche Produkte oder ob national oder international aufgestellt. Ein Thema hatten alle auf dem Radar: Home-Office.
Noch vor zwei Jahren hätten die meisten Führungskräfte ihren eigenen Mitarbeiter*innen die Befähigung abgesprochen, im Home-Office produktiv und eigenverantwortlich zu arbeiten. Mittlerweile wissen wir, dass das dezentrale Arbeiten zumindest aus Sicht der Mitarbeiter*innen super gut klappt, wenn auch mit den einen oder anderen Schwierigkeiten verbunden. (Diese Schwierigkeiten beziehen sich aber weitestgehend auf die familiäre Situation bzw. auf Doppelbelastungen.)
Die Führungskräfte hatten bzw. haben es nicht ganz so leicht. Denn neben den fachlichen, organisatorischen und führungstechnischen Anforderungen kommt noch eine weitere dazu, die wohl die schwierigste alle Herausforderungen sein dürfte: Den eigenen Führungsanspruch und damit die persönliche Rolle als Führungskraft in Frage zu stellen. Und damit verbunden die Frage: Wie viel Vertrauensvorschuss bin ich bereit, den Mitarbeiter*innen zu geben? Für Führungskräfte stellt sich also schon bald die Frage: Was kommt ach COVID-19? Bleiben wir verstärkt im Home-Office oder wird es heißen: „Sehen wir uns morgen im Büro?“. Wie die Antwort auf diese Frage lautet wird maßgeblich von der intrinsischen Motivation beeinflusst.
„Laut dem amerikanischen Autor Daniel Pink sind drei Faktoren wichtig, um sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz ein hohes Maß an intrinsischer Motivation erhalten bleibt: Selbstbestimmung (Autonomy), Perfektion (Mastery) und Sinnerfüllung (Purpose). Autonomie versteht er als den Wunsch, selbstbestimmt zu sein, wodurch sich das Engagement gegenüber bloßer Pflichterfüllung erhöht. Perfektion ist der Drang, sich zu verbessern und Sinnerfüllung der Wunsch, etwas zu tun, das sinnvoll und wichtig ist.“
(https://www.humanresourcesmanager.de/news/leadership-fuehrung-in-zeiten-von-corona.html)
Während sich die einen noch nicht sicher sind, ob sie nun stärker als Manager oder als Führungskraft unterwegs sein möchten, haben andere das Problem, dass sie in den jetzigen Zeiten auch noch die „Betreuungsrolle“ übernehmen sollen. Also müssen Psychologen her, die diesen Job übernehmen können.
Psychologe*in
Ein Psychologe*in befasst sich mit der Psychologie des Menschen (Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen) und darf sich als solcher bezeichnen, wenn sie bzw. er das entsprechende Studium erfolgreich absolviert hat.
(https://flexikon.doccheck.com/de/Psychologe)
Das Problem einer Pandemie ist, dass sie sehr komplex ist. Soll heißen, dass die Anzahl der unbekannten Einflussfaktoren sehr groß ist, was eine konkrete Planung unmöglich macht. Das sorgt bei den Menschen für eine große Unsicherheit, die sich unmittelbar auf das Verhalten auswirkt. Neben dem Drang, etwas tun zu müssen (jenseits dem Einkauf von Mehl und Toilettenpapier), versuchen wir eine Risikoabschätzung durchzuführen um eine Pseudosicherheit zu erzielen. Diese Risikoabschätzungen sind aber nicht ganz einfach und viele Menschen, und somit natürlich auch die Mitarbeiter*innen, leiden darunter:
- Wir Menschen sind nicht gut im Einschätzen abstrakter Risiken – das kann zu übertriebener Angst und Panik führen.
- Krankheit und Tod sind angstbesetzte Themen. Wir sorgen uns nicht nur um die eigene Gesundheit, sondern auch um die unserer Familien und Freunde.
- Wir bekommen immer dann stärkere Ängste vor Erkrankungen und Tod, wenn sie subjektiv in unserer Nähe auftreten, z. B. Verwandte oder Freunde betroffen sind.
- Neue Bedrohungen lösen stärkere Ängste aus, als bereits bekannte. So kommt es dazu, dass jeweils neu auftretende Viren (SARS, MERS, SARS-CoV-2) uns mehr ängstigen und mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, als z. B. die jährliche Grippewelle oder die Todesfälle im Autoverkehr.
- Der Mensch ist ein „Herdentier“. Wir neigen dazu, uns am Verhalten anderer zu orientieren. Das Verhalten der anderen Menschen wird unbewusst zu unserem Vorbild.
- Angst ist eine Emotion. Und bei starken Gefühlen können wir nicht klar denken. Wer sehr starke Ängste vor einer Erkrankung entwickelt, wird nicht unbedingt klar und logisch denken. Daher kommt es zu sinnlosen oder kontraproduktiven Verhaltensweisen.
- Wir neigen dazu, die Information vom Sender zu trennen. Das heißt, dass wir im Nachhinein nicht mehr genau wissen, woher wir eine Information haben, wir behalten nur deren Inhalt im Gedächtnis
- Gerade wenn wir Angst haben, suchen wir Sicherheit und Halt, besonders bei anderen Menschen. Wenn andere Menschen uns dann sagen, was wir tun sollen, sind wir beruhigt und hinterfragen diese Ratschläge nicht unbedingt.
- Schlagartig steht das öffentliche Leben still, viele Menschen bleiben zu Hause und arbeiten sogar von dort aus.
Diese Risikobeschäftigung führt nahezu zwangsläufig dazu, dass der Job darunter leidet. Ein Unternehmen sollte daher ein großes Interesse daran habe, den Menschen die Angst zu nehmen oder aber sie zu unterstützen, wie die Risiken bewertet werden können. Dies dürfte für die meisten Führungskräfte Neuland sein. Unternehmens- / Marktrisiken bewerten? Na klar. Endlich mal wieder eine SWOT-Analyse durchführen oder ein Business Model Canvas auf den Weg bringen.
Aber Unterstützung bei der subjektiven Risikobewertungen? Viele Führungskräfte werden nicht nur entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen missen sondern sich auch die Frage stellen: Wo bitte soll ich dafür die Zeit nehmen? Schließlich habe ich genug damit zu tun, die Arbeit der Mitarbeiter*innen zu kontrollieren.
Dabei zeigt sich mittlerweile, dass es bei den vielen Vorteilen von Home-Office durchaus auch Nebenwirkungen gibt. Da ist die Rede von Isolation, Einsamkeit, Depressionen, Stress und Abfall der Arbeitszufriedenheit. Auch wenn eine Unterstützung nicht alles heilen kann, so ist sie doch mehr als förderlich.
„Diese Unterstützung bezieht sich auf technischen Support, Unterstützung und Vertrauen der Unternehmensleitung, die Koordinierung von Aktivitäten sowie Zusammenarbeit mit Kolleg*innen. Aus dem aktuellen Forschungsstand lassen sich Hinweise auf eine gute Gestaltung der betrieblichen Unterstützung ableiten, welche der sozialen Isolation von Beschäftigten im Home-Office entgegen wirken können.
Mehrere Studien bestätigen, dass soziale Interaktionen im Arbeitskontext einen positiven Effekt auf das Stressempfinden und das Wohlbefinden ausüben“.
(https://www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/factsheet_soziale_isolation_im_homeoffice_final.pdf)
Daher ist jedes Unternehmen gut beraten, dass Führungskräfte genug Freiraum und Zeitfenster bekommen, um sich ausschließlich mit den weichen Faktoren zu beschäftigen. Ein wesentliche Aufgabe des Management ist es, die Führungskräfte angemessen zu unterstützen. Auch wenn der Erfolg ggf. nicht unmittelbar messbar ist.
Fazit:
Ein Unternehmen braucht die Symbiose zwischen Manager, Führungskraft und Psychologe. Da es schwer sein dürfte, alles in einer Personen zu finden, sollte sich die Rolleninhaber regelmäßig treffen und Maßnahmen vereinbaren, wer sich wie um die Mitarbeiter*innen kümmert. Die Zeiten sind schwer genug, machen wir sie ein wenig einfacher.