Führungskräfte haben es nicht ganz einfach. In viele Studien wird aufgezeigt, dass es ein großes Delta gibt zwischen den Ansprüchen der Mitarbeiter*Innen an die Führungskräfte und das tatsächliche Erleben von Führung. Coaches, Trainer*Innen, Personalberater*Innen und weitere Experten*Innen geben dann gute Ratschläge, was eine Führungskraft zu tun hat. Um allen gerecht zu werden, wird in die Vollen gegriffen, frei nach dem Motto „Viel hilft viel“. Dabei wird auch schon einmal heftig über das Ziel hinaus geschossen. Das Team fühlt sich nicht gut geführt und ist nicht zufrieden sondern einfach nur genervt. Zeit, sich als Führungskraft zurückzunehmen. In den heutigen Home-Office-Zeiten die beste Möglichkeit, dies zu üben. Präsenz zeigen durch Nicht-Präsenz. Geht nicht? Geht!
Nehmen wir beispielhaft eine Studie der ManpowerGroup aus März 2017, bei der 1.018 Bundesbürger befragt wurde. Die TOP-3 der Erwartungen beziehen sich auf Wertschätzung (91%), Feedback (91%) und Interesse am Menschen (88%). Schon auf Platz 4 mit 86% steht „Überlassen von mehr Verantwortung, Förderung durch neue fachliche Herausforderungen“. (https://www.merkur.de/leben/karriere/jobzufriedenheit-wuenschen-sich-mitarbeiter-von-ihren-chefs-zr-8372275.html)
Bedeutet: Hat man das Team mit interessanten und verantwortungsvollen Aufgaben versorgt, ist man als Führungskraft zwar nicht überflüssig, aber man kann sich ein Stück zurücklehnen. Weitere Studien zeigen, dass die Mitarbeiter*Innen produktiver sind und effizienter arbeiten, wenn man nicht zu eng führt. DETOX eben. Dem Team schadet es also nicht, es führungstechnisch zu entschlacken. Erstaunlich ist, dass es bei Google® bei dem Begriff „Leadership Detox“ nur 6.250 Treffer gibt. Wir betreten also Neuland.
Detox kommt von dem englischen Begriff detoxification und bedeutet so viel wie Entschlackung, Entgiftung, Reinigung. Bekannt wurde Detox in Verbindung mit Diäten, wo „…durch eine gesunde Ernährung mit viel Obst- und Gemüsesäften, Entspannungsübungen und Bädern sollen Schadstoffe und Gifte im Körper gebunden und ausgeschieden werden“
(https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/ernaehrungsgesundheit/detox-was-ist-das-97654)
Richtig Fahrt nahm der Begriff im Zusammenhang mit der Digitalisierung bzw. Handynutzung auf.
Wir schauen im Schnitt pro Tag 200 Mal auf das Handy. Die Anzahl der Stunden, die wir täglich mit dem Smartphone verbringen, führen zu einer körperlichen Beeinträchtigungen und psychischen Belastungen, vor der Mediziner intensiv warnen. Allerdings sagen die Experten auch, dass eine einmalige „Im-Urlaub-ohne-Handy“-Zeit keinen Erfolg bringt, wenn man nach dem Urlaub in das alte Verhaltensmuster zurückfällt. (https://www.tk.de/techniker/magazin/digitale-gesundheit/rund-ums-smartphone/digital-detox-tipps-2055434)
Da wir dauernd abgelenkt sind, uns nichts mehr merken müssen, unter einer Reizüberflutung leiden und zu viele Aufgaben parallel bearbeiten müssen, nimmt unsere Gehirnleistung ab. „Es gibt Studien, die belegen konnten, dass die Aufmerksamkeitsspanne, also die Zeit, in der wir uns gerichtet auf eine Sache konzentrieren, in den letzten Jahren abgenommen hat. In einer Welt voller medialer Verlockungen kostet es uns mehr Energie, äußere Reize auszublenden um bei der Sache zu bleiben“. (https://www.focus.de/digital/dldaily/smartphone-konsum-wissenschaftler-klaert-auf-darum-ist-digital-detox-voellig-nutzlos_id_10296288.html)
Und was machen wir? Statt bei den Aufgaben und Projekten aufzuräumen und sie zu priorisieren führen wir „Multiprojektmanagement“ ein und sind stolz darauf. Statt Mehraufwand zu vermeiden entwickeln wir Datenbanken, um den Mehraufwand zu organisieren. Möge dies verstehen wer will.
Im Rahmen der Digitalisierung hat man den Detox-Begriff aufgegriffen. Eine gute Beschreibung, was damit gemeint ist, findet man in einem CHIP-Artikel: „Digital Detox ist der bewusste Verzicht auf digitale Geräte wie Computer, Smartphones oder Tablets. Dieser Verzicht kann sich über bestimmte Zeiten erstrecken oder gewisse Orte betreffen.“ (https://praxistipps.chip.de/digital-detox-definition-tipps-zur-digitalen-entgiftung_124995)
In Anlehnung an „Digital Detox“ könnte „Leadership Detox“ also definiert werden als „ … der bewusste Verzicht auf bestimmtes Führungsverhalten wie Kontrolle, operatives Eingreifen oder mangelnde Delegation. Dieser Verzicht kann sich über bestimmte Zeiten erstrecken oder gewisse Orte betreffen.“
Die Führungskräfte sollten sich lieber damit beschäftigen, loszulassen, zu delegieren und „nicht präsent zu sein“. Das ist schließlich kein Neuland. So haben die beiden Forscher Nitin Nohria und Michael Porter zwölf Jahre lang 25 männliche und zwei weibliche Führungskräften minutiös begleitet und dabei u.a. festgestellt, dass sie im Schnitt 37 Meetings pro Woche besuchen, was 72 Prozent der Arbeitszeit entspricht.
„Weitere Empfehlungen der Experten lauten, die persönliche Agenda permanent nach Dringlichkeit zu aktualisieren, Aufgaben zu delegieren und Meetings knapp und effizient zu gestalten.
⦁ Sind Sie insgeheim der (irrigen) Meinung, als gut verdienende Führungskraft müssten Sie zwangsläufig mehr Zeit im Büro verbringen als Ihre Mitarbeiter?
⦁ Beschleunigen Sie das Hamsterrad, in dem Sie ächzen, durch eine Vielzahl von Initiativen und Projekten selbst?
⦁ Wie viele der Projekte und Initiativen zahlen sich tatsächlich angemessen aus? Anders ausgedrückt: Was wäre getreu der 80/20-Regel möglicherweise verzichtbar?
⦁ Wo geht viel Zeit mit wenig Resultat drauf – wobei das Resultat in Umsatz, Renommee oder Anerkennung bestehen kann?“
(https://www.springerprofessional.de/zeitmanagement/stressmanagement/die-groessten-zeitfresser-der-chefs/15894280)
Führungskräfte tun sich schwer damit, Führungs-Abstinenz zu zeigen. Zu groß ist die Sorge vor Machtverlust und der Angst, sie wären dann überflüssig und könnten auch gleich ganz weg bleiben.
„Aus psychologischen Forschungen ist bekannt, dass Menschen, die Macht haben, versuchen, diese zu erhalten. Was zu der Angst führt, sie zu verlieren, wenn sie gefährdet ist … In einer Studie untersuchten die Autoren erstmals empirisch, was Angst vor Machtverlust mit Führungskräften macht: Sie korrumpiert, lautet das Ergebnis, und führt dazu, dass Managerinnen und Manager beginnen, ihren eigenen Interessen oberste Priorität zu verleihen.“ (https://www.psychologie-heute.de/beruf/40170-angst-vor-machtverlust.html)
Losgelöst von der Abwesenheit von Führungskräften aufgrund von Meetings und externen Terminen gibt es eine Gruppe, die die Abwesenheit ganz bewusst herbeiführt: Teilzeit-Führungskräfte. Das sind keine Menschen, die kein Bock auf viel Arbeit haben, sondern die, die Vorteile von Teilzeitarbeit zu schätzen wissen:
Teilzeit-Führungskräfte
⦁ sind oft produktiver, motivierter, kreativer und innovativer
⦁ die Familie und Beruf vereinbaren können, sind zufriedener, treuer und loyaler
⦁ leben gesünder
⦁ bringen häufig Erfahrungen als Eltern ein, wie z.B. Stress- oder Changemanagement, Beziehungs- oder Zielorientierung
⦁ können effizienter und flexibler eingesetzt werden, was eine Verringerung der Personalkosten ermöglicht
⦁ – Positionen können schneller besetzt werden, da besonders junge Nachwuchskräfte oder jungen Eltern Arbeit und Privat gut miteinander verknüpfen können.
Den vollständigen Artikel finden Sie hier:(https://headquest.de/de/warum-mitarbeiter-in-teilzeit-vielleicht-die-besseren-fuehrungskraefte-sind/)
Obwohl die Führungskräfte-Teilzeit für Unternehmen und Mitarbeiter*Innen Vorteile hat, ist die in Deutschland noch die Ausnahme. „In Deutschland arbeiten nur 9% der Führungskräfte in Teilzeit, also weniger als die 30h pro Woche, die in international vergleichenden Studien als Teilzeitgrenze festgelegt werden. In Island hingegen sind es immerhin 22% aller Führungskräfte.“ (https://www.springerprofessional.de/fuehrung-in-teilzeit-eine-empirische-analyse-zur-verbreitung-von/12047630)
Führung zu entschlacken beginnt daher bei der Führungskraft selber. Wie so oft, wenn es um Leadership-Change geht. Die Veränderungen können „laut“ über eine Organisationsveränderung eingeführt werden oder „leise“, indem jede Führungskraft sich einen Fahrplan zurechtlegt, wo eine Führungs-Entschlackung in kleinen Schritten sinnvoll und möglich ist.
Wem nicht ganz klar ist, wie man das erreichen kann, hilft vielleicht die Gegenüberstellung von Digital Detox <-> Leadership Detox. Jede(r) hat die Möglichkeit, anzufangen:
⦁ Nächste Meeting nicht selber vorbereiten
⦁ Teambesprechung moderieren lassen
⦁ Bei Konzepten nur die Eckwerte mitgeben, den Rest erstellen lassen
⦁ Rahmenbedingungen für Business Case vorgeben aber dann erarbeiten lassen
⦁ Firmenhandy ab 18:00 Uhr und am Wochenende ausschalten (außer bei Bereitschaft)
⦁ Sich mal 3 Tage nicht beim Team melden
⦁ Den Text für den newsletter nicht selber erstellen, auch wenn es einem schwerfällt
⦁ Präsentationen nach dem 4-Augen-Prinzip von einem Teammitglied prüfen lassen
⦁ Zur nächsten Besprechung nicht selber hingehen
⦁ Schicht-, Einsatz-, Projekt-, Urlaubs-Pläne nicht selber erstellen
⦁ Entscheidungen vom Team fällen lassen aber mittragen
⦁ …
