Über die Verantwortung von Mitarbeiter*Innen in schwierigen Zeiten
Der wohl bekannsteter „Nach-Oben-Gucker“ dürfte Hans aus dem Buch Der Struwelpeter sein. Für alle, die die Geschichte nicht kennen, hier die Schnellfassung:
Junger Student mit wichtigen Klausurübungen unter dem Arm läuft durch die Gegend und schaut permanent nach oben (A.d.V.: Hat sich heute nicht wesentlich geändert, nur dass man heute auf das Smartphone schaut). Dabei passierte es schon mal, dass den einen oder anderenRassehund versehentlich zur Seite kickte, aber ohne große Verletzungen für alle Beteiligten.
Blöd war, als er eines Tages die Wegabbiegung verpasste, weiter geradeaus ging und das Ende der Kaimauer übersah. Zwei beherzte Angler zogen in aus dem Kanal. Ergebnis: Hans gerettet und voll da, Mappe mit den Klausurübungen nicht gerettet und weg.
Auch heute gibt es „Nach-oben-Gucker, allerdings ist die Motivation für diese Blickrichtung eine andere als bei Hans. Wir schauen nach oben zu den …
… Virologen und Epidemologen, von denen wir erwarten, dass sie genau wissen, wie die Pandemie verläuft und was das Virus als nächstes tut, damit wir uns darauf einstellen können.
… Politiker, die schließlich wissen müssen, wie sich die Krise entwickelt und von denen wir erwarten, dass es auf keinen Fall zu Einschränkungen unseres Wohlstandes kommt.
…„da ganz oben“, die das Unternehmen nicht nur vor den Auswirkungen der Pandemie schützen sollen, sondern schließlich die Märkte kennen und angemessen reagieren sollen, damit unsere Jobs in den Folgejahren noch sicher ist.
… direkten Chefs, die schließlich wissen sollten, wenn es uns nicht gut geht und wenn wir Empathie und Wertschätzung benötigen, damit wir motiviert arbeiten können.
Das alles ist irgendwie legitim und auf keinen Fall verwerflich. Aber es wirft Fragen auf. Zum Beispiel könnten wir fragen, wo denn die Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Mitarbeiter*Innen bleibt? Oder warum wir häufig warten, dass jemand etwas für uns regelt statt selber zu schauen, was getan werden könnte? Wir könnten uns fragen, wie wir das direkte und indirekt Umfeld gestalten können, und wenn es auch nur in kleinen Schritten ist? Stattdessen Ausreden, dass man selber ja nicht viel ausrichten kann. Dabei muss man einfach mal nach unten schauen und sehen, welche Chance und Möglichkeiten auf dem Boden liegen.
Natürlich wird ein einzelner Mitarbeiter*In, z.B. in der operativen Ebene, keinen direkten Einfluss auf das Unternehmen haben. Aber durch ein verantwortliches Handeln, insbesondere bei Kontakt zu Kunden, Händlern und Lieferanten, kann das Image des Unternehmens hoch gehalten oder sogar verbessert werden.
Nicht jeder Mensch ist kreativ und ein Innovator. Aber vielleicht gibt es ein paar Ideen, wie man Abläufe verbessern oder Fehler vermeiden kann. Einfach mal ein paar Ideen spinnen und kommunizieren und nicht gleich wieder die Sorgen haben, was die anderen denken und dass das sowieso nichts wird.
Wer Kontakt mit Kunden hat, kann hier noch 3-4 Punkte bei der Kundenfreundlichkeit drauflegen. Und wenn Kunden nerven, weil alle unter Stress stehen, dann vielleicht noch einen Gang runter schalten und ruhiger und noch freundliche reagieren.
Statt darauf zu warten, dass mich andere motovieren, morgens mal mit dem Gefühl beginnen: Das wird ein guter Tag! Bei den Nachrichten sich nicht auf die deprimierenden Themen konzentrieren sondern auch mal Schönes lesen oder ansehen. Wenn es sein muss, auch Katzenvideos.
Berufliche Herausforderungen auch mal sportlich sehen. Wenn der Aufgabenberg immer stärker wächst, nicht kapitulieren sondern die Herausforderungen annehmen, frei nach dem Motto „Wir schaffen das“. Am Abend dann den Tag reflektieren und sich darüber freuen und dankbar sein, was heute alles gut gelaufen ist.
Auch wenn wir alle viel zu tun haben: Sollte eine Kollegin / ein Kollege ein Problem mit der Spätschicht oder Überstunden haben, weil Zuhause keiner auf die Kinder aufpasst, dann wird ein „fahr´ mal nach Hause, ich mache die Präsentation alleine fertig“ zu einem gigantischen Glücksmoment.
Manche Kollegen*Innen trauen sich nicht, bei Problemen nach Hilfe zu fragen, weil ja alle im HomeOffice sind. Hier kann die Weitergabe der privaten Handynummer wahre Wunder wirken. Alleine schon die Möglichkeit, anzurufen, wird für eine persönliche Entlastung sorgen und vermutlich wird das Telefon nicht heiß laufen.
Manche Kollegen*innen sind noch nicht im Raum, da spürt man schon negative Energien. Niemand muss zu einer Stimmungskanone mutieren, aber wenn man den ganzen Tag Menschen mit schlechter Laune sieht, hebt das nicht die Stimmung.
Ein guter Witz zur richtigen Zeit, ein vielleicht etwas lauteres Lachen als sonst, eine offene Körpersprache und mal hier und da ein paar positiv gestimmt Formulierungen, hilft allen und kostet nichts.
Dass sich jeder mit jedem super gut versteht, ist unwahrscheinlich. Irgendwo gibt es immer einen Konflikt, offen. oder verdeckt. Vielleicht ist gerade jetzt die richtige Zeit, mal auf die Person zuzugehen, der man sonst aus dem Weg geht. Vielleicht kann man jetzt über den eigenen Schatten springen und sich entschuldigen (falls notwendig). Oder man setzt sich einfach mal zusammen und bespricht offen und wertschätzend, wo das Problem im Grundsatz liegt und wie man einen gemeinsamen und vernünftigen Weg finden könnte.
Jeder von uns kann einiges machen. Statt immer nur nach oben zu schauen und zu warten, was die da jetzt von oben nach unten deklinieren, können wir geradeaus oder nach unten schauen. Es gibt genug zu tun.
