Selbstbehauptung für Frauen

99:1 – Prävention statt Konfrontation

Als in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln die Übergriffe auf Frauen stattgefunden haben, ist man zunächst nur von einer Handvoll Betroffener ausgegangen. Nachdem man einen öffentlichen Aufruf gestartet und den Frauen Mut gemacht hat, explodierten die Anzeigen. Ähnlich war es bei der „meto“-Debatte. Zaghaft begonnen am 05.Oktober 2017 mit einer einzigen Anzeige, meldeten sich in kurzer Zeit Frauen auf der ganzen Welt.
Die Zahlen, die auch jüngst von der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung leider noch einmal bestätigt wurden, sind erschreckend:
⦁ Alle 3 Minuten wird eine Frau belästigt
⦁ Es gibt 80.000 Übergriffe pro Jahr
⦁ 25% der Gewalt richtet gegen Frauen
⦁ 60% der Frauen haben bereite sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz erlebt
⦁ In 80% der Fälle bricht der Täter ab, wenn sich eine Frau wehrt

Den Männern geht es oft nicht besser. Zwar werden sie am Arbeitsplatz nicht so oft sexuell belästigt, wobei es dies in der Tat auch gibt, aber es sind die Alltagssituationen:
⦁ Ein Sanitäter wird bedroht, obwohl er gerade helfen will
⦁ Förster werden von Pilzsammlern übel zugerichtet, weil sie die Pilzsammler auf die Regeln im Wald hinweisen
⦁ Schiedsrichter werden massiv bedroht, weil ein Spieler die rote Karte nicht akzeptieren möchte,
⦁ Männer werden unter Druck gesetzt, weil sie einen männlichen Partner haben

Damit es erst gar nicht zu gefährlichen Situationen kommt, solltest du schon im Vorfeld ein paar wenige Dinge beherzigen. Diese wenigen Dinge könnten dein Leben retten. Übe sie regelmäßig mit Freunden, damit du in der Umsetzung sicherer wirst.

Selbstverteidigung bedeutet 99% Prävention und 1% Konfrontation

Wie sich Täter verhalten
In der Regel schätzen Täter vorher ab, ob das Opfer gefährlich werden könnte. Die Entscheidung für eine aggressive Aktion erfolgt häufig auf einer völlig unbewussten Ebene, in dem sie die Körpersprache des „Opfers“ einschätzen. So haben Studien gezeigt, dass bei sehr vielen Vergewaltigungen im Vorfeld relativ harmlos wirkende Annährungsversuche des späteren Täters stattfanden. Frauen, die den Mann bereits beim ersten Kontakt abschrecken konnten, kamen in der Regel unbeschadet davon. Männer, die frühzeitig eine angemessene Dominanz zeigen, halten den einen oder anderen Täter ab, sich zu nähern.

Fazit: Wirkt das potenzielle Opfer stark und souverän, schrecken viele Täter zurück.

Wie du dich verhalten solltest

⦁ Kommt dir jemand zu nahe, dann zeige durch eine eindeutige Abstandhaltung mit dem Arm, dass der andere nicht näherkommen soll.

⦁ Wirst du bedrängt oder verfolgt, suche einen möglichst belebten Platz auf oder spreche andere Leute an. Hier darfst du keine Hemmungen haben.

⦁ Wenn du flüchtest, dann nicht panisch, sondern stets souverän und selbstbewusst, mit betont festen Schritten. (Schritte etwas verlängern und dabei fest auftreten). Das zeigt Standfestigkeit.

⦁ Gehe in die Offensive! Wenn es sich nicht vermeiden lässt, gehe auf den Verfolger zu, baue dich vor ihm auf und schaue ihm fest in die Augen. Sprich mit lauter Stimme Sätze wie
⦁ „Verschwinden Sie, oder es gibt Ärger!
⦁ „Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!“
⦁ „Machen Sie, dass Sie wegkommen!“
⦁ „Ich fühle mich von Ihnen belästigt.“
⦁ „Ich möchte das nicht.“
⦁ „Ich möchte definitiv nicht angefasst werden.“

⦁ Wenn du auf der Straße gehst, dann in Richtung gegen den Straßenverkehr. So kannst du besser erkennen, wenn dir eine verdächtige Person entgegenkommt, Schaue dich ab und zu mal um, ob du verfolgt wirst.

⦁ Wenn du dich beobachtet / bedroht fühlst, nutze kluge Gegenmaßnahmen. So kannst du z.B. schon eine Nummer in deinem Handy wählen, ohne dass der Anruf getätigt wird. Spreche laut „ich bin gleich da“, „du kannst mir schon mal entgegen kommen“ … Kommt es zum Notfall, musst du nur noch eine Taste drücken.

⦁ Wenn du jemanden anschaust, dann mit einem festen Blick, auf keinen Fall die Arme vor der Brust verschränken, die Stimme erheben oder künstlich lachen oder leise sprechen.

⦁ Wenn du in einen Aufzug einsteigst, bleibe vorne an der Tür bei den Schaltern stehen, damit du ggf. den Notschalter drücken kannst. Wenn weitere Personen einsteigen, lasse dich nicht in die Ecke drängen.

⦁ Bei der Nutzung von Bus und Bahn bleibe möglichst in der Nähe der Notschalter stehen oder an der Tür in der Nähe des Fahrers / Fahrerin.

⦁ Wenn du zu deinem Auto gehst, dann nehme schon auf den Weg dorthin den Schlüssel in die Hand. So kannst du diesen als Waffe einsetzen und musst, wenn du vor dem Auto stehst, nicht mehr in deiner Tasche suchen. Bevor du in das Auto einsteigst, schaue erst auf beiden Seiten nach, schaue dich schnell noch einmal um und steige dann sofort ein.

⦁ Übe regelmäßig, dominant aufzutreten und eine gewisse Aggression zu zeigen. Das mag am Anfang ungewohnt sein. Idealerweise übst du das Zuhause.

⦁ Handle früh und konsequent! Was andere denken, MUSS DIR EGAL SEIN!

⦁ Zeigst du Angst, hast du verloren, knickst du ein, hast du verloren, duckst du dich, hast du verloren.

⦁ Richte dich auf, nehme möglichst viel Platz ein, stemme die Arme in die Hüfte (Daumen nach hinten, Finger nach vorne) hebe das Kinn etwas, stehe breitbeinig und atme tief ein.

„Power-Posen“ sind eine Möglichkeit, psychologische Blockaden zu überwinden. Sie steigern den Testosteron-Spiegel und reduzieren das Stresshormon Cortisol.
   ⦁ Cow-Boy Haltung: breitbeinig mit Händen in die Hüfte gestemmt.
   ⦁ Siegerhaltung: Arme nach oben gerissen
   ⦁ Entspannt am Schreibtisch: Füße auf den Tisch, Arme hinter dem Kopf verschränkt
   ⦁ Breit sitzend: Beine breit, Arme ausgestreckt rechts und links auf der Sofalehne, Beifahrersitz oder der Sitzbank.

Achtung: eine enge Pose = Kauerhaltung ist eine „Verliererpose“. Sie nimmt Kraft und erhöht die Stressempfindlichkeit. Vermeide enganliegende Arme, wenn du mit dem Smartphone arbeitest.

⦁ Denke an die 3 L: Licht, Lärm, Leute.

⦁ Nutze im Zweifel alles, was du in der Tasche hast: Schlüssel, Kugelschreiber, breiter Filzstift, Zeitung, Regenschirm. Vermeide Pfefferspray, es könnte gegen dich verwendet werden. Nutze besser einen „Schrillalarm“.

⦁ Wenn dich eine Person stört, spreche sie auf jeden Fall in der „SIE“-Form an, und zwar so laut wie es geht.

⦁ Wenn du Hilfe von den dabeistehenden Menschen brauchst, suche dir eine Person konkret aus und spreche Menschen sie direkt an „Sie, mit der blauen Jacke, rufen Sie bitte die Polizei“.

Was du noch beachten solltest
Manche Täter argumentieren, sie fühlen sich durch die aufreizende Kleidung einer Frau oder durch den Blick eines Mannes belästigt oder provoziert. Das ist Unsinn.
Ein dichteres Heranrücken, eine Umarmung oder beherzter Griff an den Po ist deutlicher zu spüren, als ein anzüglicher Kommentar. Viele Betroffene denken dann: „Hat er das jetzt wirklich gesagt?“ oder „Vielleicht habe ich mich verhört“. Es ist wichtig, die eigenen Gefühle und Sorgen ernst zu nehmen. Du alleine entscheidest, was erlaubt ist. Sexuelle Belästigung ist besonders unangenehm, weil sie meist wiederholt stattfindet. Misslungene Flirtversuche sind unangenehm aber nicht das wirkliche Problem. Zum Problem wird es, wenn die Flirtversuche trotz Absage immer wieder unternommen werden. Das musst du unverzüglich stoppen.

Aus Untersuchungen weiß man, dass Frauen ihre eigene Reaktion auf sexuelle Belästigungen hypothetisch anders einschätzen, als ihr Verhalten in der konkreten Situation tatsächlich aussieht. Sie behaupten, sie würden dominant und verbindlich auftreten. In der Realität ziehen sich Frauen eher zurück und vermeiden Auseinandersetzung.

Männer dagegen meinen häufiger, sie hätten die Situation im Griff, machen einen auf „stark“ und gehen in die (ggf. auch körperliche) Konfrontation. Dumm nur, wenn man mehreren Personen gegenübersteht oder man hat es mit einem Schläger zu tun, der schon viele körperliche Streitigkeiten ausgetragen hat und keine Hemmschwellen besitzt. Selbst wenn man als Sieger aus einem Kampf herausgeht, wird dies i.d.R. nicht ohne schmerzhafte Blessuren vonstattengehen. Ein nicht geführter Kampf ist noch immer der größte Sieg.

Bei häuslicher Gewalt sind es oft die Freundinnen, die beschwichtigen: „das hat er nicht so gemeint““, „der war doch nur betrunken“, „vielleicht hast du ihn gereizt“. Männer würden nie einem anderen erzählen, dass sie Zuhause von ihren Frauen / Freundinnen Gewalt erleben.

Wie auch immer: Häusliche Gewalt muss unverzüglich zur Anzeige gebracht werden.

Leider gibt es sehr viele sexuelle Belästigung im beruflichen Kontext. Auch hier gilt: Unverzüglich ansprechen, wenn das nicht hilft den Betriebsrat einschalten oder den Arbeitgeber, im Zweifel einen Arbeitsrechtler einschalten. Die Angst, den Job zu verlieren ist groß, aber so schnell kann man in Deutschland niemanden entlassen.
Wenn du belästigt worden bist, spreche mit vertrauten Personen über das, was dir passiert ist. Wenn man sich anderen anvertraut, stellt man (leider) fest, dass man nicht alleine ist. Das heilt zwar das Geschehene nicht, hilft aber dennoch.

Zum Schluss
Insbesondere Frauen ist es unangenehm, laut zu schreien, aggressiv aufzutreten, zu kratzen, zu beißen, zu treten. Hintergrund ist die falsche Meinung: „Ein wohlerzogenes Mädchen macht das nicht“.
Quatsch! Wenn man dich angreift, kannst du nicht unerzogen genug sein.
Wenn du laut werden willst, werde laut. Wenn du schreien willst, schreie und wenn du kreischen willst, kreische!

Bildquelle: Symbolbild/CareyHope/Thinkstock by Getty-Images

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